buch der woche
Wandern ohne Karte

wer hätte gedacht, dass "Die Kinderhochzeit" von Adolf Muschg und mein Winterurlaub im Vogtland (stellenweise) vom selben Geist beseelt sind?

"Und wie wollen Sie bei uns auf etwas Unerwartetes stoßen, wenn Sie nicht an Orte gehen, wo nichts ist?

Du musst den Weg schließlich allein suchen, und dabei begegnet dir schon viel; der Weg hört auf oder führt in eine andere Richtung, und dann hast du die Wahl, ob du trotzig bleiben willst oder ob dir eine Richtung so gut ist wie die andere."

Aus genau dieser Überzeugung heraus wähle ich häufig Wege, die einfach nur verheißungsvoll wirken und oft genug im nächsten Dickicht oder auf einer sumpfigen Wiese enden - manchmal aber auch an einen gleichsam verwunschenen Platz voll köstlicher Stille führen, zu einem Gasthaus wie aus dem Märchen oder zu sonst einer Begegnung, die ohne diesen Trotz oder diese Gleichmut nicht geschehen wäre.

Was ich ansonsten von dem Buch halte, weiß ich noch nicht. Ich mag diese intellektuelle Leichtigkeit, in der die Sätze dahin plätschern, genauso sehr, wie sie mich anstrengt, eben weil der Leichtigkeit so oft der Geruch harten Drechselns und ein Möchtegern anhaftet. Verschnörkelt, verwickelt - für das Wandern im Buch brauchte es wohl zuweilen doch eine Karte. Müdigkeit schleicht sich an, wenn man aus der letzten halb verdeckten Plätscherei wieder nur fast errät, um wen es hier eigentlich geht. Gleichzeitig ist alles zart, Verletzungen schimmern durch die Oberfläche, Kleinigkeiten gewinnen im Zusammenhang Bedeutung, Menschen werden lebendig. Die Neugier ist geweckt.

Ein Buch der Woche - einfach, weil ich es eben in dieser Woche grad lese.

Alfred Muschg "Die Kinderhochzeit", suhrkamp taschenbuch

Nachtrag: am Anfang hat mich das Buch ein bisschen dürrenmatt gemacht, aber zum Schluss hat es mich gepackt und ich war gespannt auf den Ausgang und ganz und gar gefangen genommen

 
Oh, oh, oh

wieso passiert mir das immer wieder? Ich will in den Sphären hochgeistiger Literatur schwelgen und von dort in die Niederungen des Bestsellerbetriebs herab schauen. Von grundsätzlichem Misstrauen beseelt beäuge ich Publikums - Hits mit der rechthaberischen Arroganz der "Ich habe Tolstoi gelesen"-Clique. Nun gut, ich lese auch Krimis! (aber nur gute)

Und, was muss ich heut gestehen? Ich bin dem Bestseller-Autor Stieg Larsson restlos verfallen. Ach, Gott. Und das haben ja sowas von ALLE gelesen, dass es fast grotesk scheint, dafür noch werben zu wollen. In Unkenntnis der Dreifaltigkeit habe ich mit dem letzten der drei Bücher begonnen (Schnellkauf auf dem Bahnhof wegen fehlender literarischer Zugbegleitung), bin jetzt beim ersten gelandet und hungere nach dem zweiten.

Spannend, spannend, spannend. SPANNEND. Zu komplex, um hier mit dem Versuch einer Inhaltsbeschreibung zu beginnen. Ich sage nur: ein unglaublich integrer, kämpferischer Wirtschaftsjournalist; eine unglaublich vom Leben gebeutelte private Ermittlerin mit ganz eigenen Ansichten zu Moral und Gerechtigkeit; Verbrechen, die möglich sind, weil Politik und Wirtschaft, Staatsbeamte und Konzernherren in gegenseitiger Abhängigkeit und Profitgier jenseits jeder Moral und Ethik agieren und alles möglich scheint, unabhängig von eventuell existierenden Gesetzen und Richtlinien.

Die Verfilmung des ersten Bandes "Verblendung" werde ich mir wohl nicht anschauen, ich habe Angst davor, mich zu sehr zu gruseln.

Stieg Larsson, Verblendung, Verdammnis, Vergebung

Heyne Taschenbuch

 
Spieltrieb

Juli Zeh „Spieltrieb“

Das ist das zweite Buch, das ich von Frau Zeh lese (das erste war „Schilf“) und obwohl ich irgendwann beschlossen hatte (auf Grund von Interviews und Artikeln über sie), dass sie ne arrogante Ziege ist, muss ich sagen: Ziege hin oder her, fest steht jedenfalls: die Ziege kann schreiben. Und zwar sehr gut.

Und nachdem ich auch diesmal zuerst meine Minderwertigkeits- und Unterlegenheitsgefühle angesichts der fremdwörtlichen Sprachgewalt überwunden und mich damit abgefunden hatte, dass ich ein paar der Wörter noch nie gehört habe und also nachschlagen müsste, und auch nicht noch mal schnell Physik, Philosophie, alte Sprachen und Jura studieren kann,

bin ich erneut in eine Geschichte eingetaucht, deren Scharfsichtigkeit mir zuweilen Magendrücken bescherte.

Es gibt auch Amok-Läufer, die nicht zur Schusswaffe greifen, sondern viel diffiziler zu Werke gehen. Hinter dem niedlichen Titel Spieltrieb verbirgt sich die minutiöse Schilderung einer breit angelegten, gigantischen Manipulation. Die Drahtzieher: eine Schülerin und ein Schüler – Gefühlskrüppel, Einsamkeitserleider, Ausgestoßene, die nicht mehr wissen, wie viel von diesem Ausgestoßensein das Produkt ihres eigenen Wirkens ist, Intelligenzbestien. Bedrohlich für Lehrer, die kaum noch einen der Werte verkörpern, die zu vermitteln ihr Auftrag ist. Beängstigend für Pädagogen, die befürchten, bei einem Disput, würden sie diesen in ihrem Unterricht befördern, träten ihre eigene Meinungslosigkeit, ihr Desinteresse und ihre Gleichgültigkeit vollends zu tage.

Eine Internatsschule in Bonn, die auch noch hoffnungsloseste Fälle zum Abitur führt; ein neuer Direktor mit Napoleon-Komplex, der wegen seiner Herrschaftsansprüche und angestrebten Diktatorposition absolut geeignet ist für Manipulation; ein Lehrer für Sport und Deutsch, der zu arglos und gleichzeitig zu beschäftigt ist mit seinen häuslichen Problemen; ein Geschichtslehrer, der viel (voraus)sieht, aber keinen Einfluss besitzt oder besitzen will.

Ein Haufen Statisten in Gestalt von Schülerinnen und Schülern, Marionetten sozusagen.

Das Spiel kann beginnen. Es beginnt leis mit dem ersten Lehrer, der auf Grund dubioser Anschuldigungen sexueller Übergriffigkeit wegen geschasst wird. Es geht weiter mit einem Skandal, der zur Gerichtsverhandlung führt und Opfer hinterlässt. Nicht alle werden überleben.

Alev und Ada, die Gott und Teufel spielen, immer auf der Suche nach ETWAS, das dem NICHTS in ihnen den Raum nimmt.

Ein kritischer, zuweilen zynischer Blick auf unser Schulsystem, auf das Familienleben, auf Werte und Ziele, die unser Leben heute und hier, in dieser Gesellschaft und auf der Erde bestimmen.

Eine Liebesgeschichte (eigentlich drei).

Ein kitschiges Ende.

Irgendwann in der Mitte verliert die Geschichte ein wenig an Kraft und Glaubwürdigkeit. Das ist auch der Punkt, ab dem die Bildungsbestie Zeh mit ihrem Hang zu geistiger Masturbation den Leser zu ermüden beginnt. Die Spannung bleibt resigniert auf der Strecke.

 
Österreicher sind irgendwie durchgeknallt

aber herrlich. Ein bisschen schwarzhumorig englisch, ein bisschen skurril auf die verschrobene Art, irgenwie verstaubt und dann unvermutet bissig. Wolf Haas und Heinrich Steinfest: solche Krimis hatte ich vorher nich und nachher nich. Weg mit den schwermütigen Nordlichtern, die in düsteren, gefühlsbeladenen und dennoch irgendwie unbeteiligt wirkenden Sätzen Grausiges dokumentieren. Her mit dem Brenner und seinen merkwürdigen Ermittlungsmethoden. Und schade, dass es nur drei Romane mit dem einarmigen Detektiv Cheng (in Wien geborener Chinese, der in Stuttgart lebt) gibt, dessen Hund schon Windeln braucht. Immer eine Prise Wittgenstein zwischendurch und die unterhaltsamste Art und Weise, die Grünen madig zu machen.

Schaut mal nach, was Haas und Wolf (Quatsch: Steinfest) alles so geschrieben haben - egal was Ihr nehmt, es wird herrlich.