Wo ist sie nur hin!

Traurig suche ich sie überall - auf den Straßen, auf den Plätzen, in den Cafés: die berühmte Hüftlinie; diese exotische Kurve, die wir früher als Taille kannten.

Alle Vorgaben menschlicher Anatomie ignorierend wird sie seit Jahren widerrechtlich 10 Zentimeter tiefer festgehalten, teilweise unter Ausübung von Gewalt festgezurrt - auf oft sehr üppig wachsendem Hüftgold, das sich notgedrungen als Wulst oder gar als WulstWulst den Weg ober-und unterhalb der neu definierten Gürtellinie sucht. Wo das Auge wohlgefällig einem Schwung folgen könnte, der in der . . . Taille am Rock-oder Hosenbund ansetzt und der Fantasie ein wenig Raum lässt, sucht der Betrachter bestürzt einen Ausweg aus dem Blickkontakt mit überquellendem Bauchspeck, der unter dem kurzen T-Shirt hervorlugt und vom tief sitzenden Gürtel so nach oben gedrückt wird, dass er keine Chance hat, als erotisch durchzugehen. Dort, wo eine kosende Hand genüsslich einer Wölbung folgen könnte, verheddert sie sich in einer Endmoränenlandschaft.

Die neue Hüftlinie verschandelt frauliche Proportionen, dass einen das Herz schmerzt. Oberkörper werden grundlos verlängert, Beine noch mehr verkürzt; es wird gepresst, wo man besser locker ließe und frei gelassen, wo Halt und Deckung gut täten. Nur wer keinen Arsch in der Hose hat, kann es sich leisten Hosen zu tragen, deren Schnitt diesen Körperteil nicht vorsieht.

Ich habe gehört, es sei nicht mehr in Mode, die Hosen so tief zu tragen, dass der String des Tangas wie ein Wegweiser in Regionen zeigt, deren Vorhandensein unsere Großmütter abgestritten hätten. Aber ich habe mich geirrt - es ist nur nicht mehr angesagt, den Tanga rauskucken zu lassen; vorn und hinten freier Blick auf Tatsachen, die haarig wären, wenn man sie ließe. Das Thema Nieren und Unterhemden ist Schnee von vorgestern.

"Trage ich den Bauch über dem Gürtel oder drunter?" Was finden Frauen aufregend an einer Kleidungsfrage, die ursprünglich reine Männersache war?

Ich bin davon überzeugt, dass der Schöpfer dieser Mode blind war oder ein Menschenhasser - oder beides.