Saunafaschos |
Sonntag, den 13. April 2014 um 11:46 Uhr |
Gerade fragt mich meine Tochter, quasi aus dem Nichts heraus, beziehungsweise aus Gründen, die ich mir weiterhin verschleiert wünsche, ob ich immer noch ganz nackt in die Sauna ginge. Das NOCH in dieser Frage macht mir zu schaffen. Gepeinigt von inneren Momentaufnahmen eines Körpers im Spiegel, den zu kennen ich mich im Moment weigere, frage ich mit leichtem Meckervibrato in der Stimme zurück, wie ich denn sonst da reingehen sollte . . . Habe ich den Anschluss an neue Entwicklungen verpasst, wie bei den SMS und Facebook-Smilies? "Süß, Deine Smilies, Mama, rührend irgendwie . . .", grinst meine nächste Generation und legt so einen . . . gütigen Ton auf. Bald wird sie mir beim Bezahlen ins Portemonnaie grapschen und hilfreich das passende Kleingeld raussuchen, weil sie denkt, ich packs nich mehr! "Was?", frage ich. "Was ist verkehrt mit meinen Smilies?" "Nichts, nichts - Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das . . . schon klar, is nich schlimm, Du schreibst ja auch okay aus, so richtig o k a y . . ." Nicht ohne Stolz weise ich an dieser Stelle darauf hin, dass ich immerhin auf Facebook im Stickershop war und jetzt stimmungsentsprechend Minions posten kann! Was hab ich bezüglich Sauna verpasst? Ist Nacktsein out? Trägt man da jetzt irgendwas? Außer dem Flair des abgehärteten Schwitzmeisters mit Aufgussaroma? Das muss ich unbedingt wissen, bevor ich der Einladung meiner Freundin zum gemeinsamen Saunieren folge. Schon dieses Wort: "Sau" und "Nieren", viel Raum für Phantasie. Da gibt es saumäßig viel, was einem tierisch an die Nieren geht. Es ist im Übrigen die Freundin, die immer so viel und so laut spricht. Das fällt mir eigentlich nur in der Sauna auf, weil da alle anderen so still sind. Ich geb es zu: Ich hab Angst vor den Sauna-Faschos. Eingeschweißte Hardcorehummer, die Dich mit Blicken steinigen, wenn Du vergessen hast, Deine FlipFlops im Vorraum zu lassen und Du deshalb nochmal raus musst und die Tür nicht zu machst, weil Du ja gleich wieder reinkommst. Die Temperatur ist durch Dein ignorantes Verhalten von 100 °C auf indiskutable 99 gesunken und der an der Tür saß voll im Zug. Von nun an behalten sie Dich im Auge. Hat sie genügend Handtücher dabei, damit auch wirklich jedes Tröpfchen Schweiß aufgefangen wird? Weiß sie, wie man stumpf vor sich hin stiert und immer mal mit einem glitschenden Switsch die Schweißbäche abwischt und dabei schnauft? Hat sie eine Ahnung vom Regelwerk des Aufgussverhaltens? Hat sie. Es ist wie beim Konzert: nach den einzelnen Sätzen wird nich geklatscht – erst nach dem Finale. Nur schade, dass es keine Sitzplatzreservierungen gibt, von Liegeplätzen ganz zu schweigen – wenn Du als Brandopfer auf den heißen Steinen landen willst, dann riskier ruhig eine Streckbank zur Aufgusszeit. Ne, das mit der freien Platzwahl macht Stress. Der Aufgussjäger muss bei Betreten der Saunalandschaft die an den Türen der Schwitzkästen aushängenden Aufgusszeiten studieren und memorieren, um daran ausgerichtet den Schnittmusterbogen seiner heutigen Saunagänge zu konstruieren. Während Ignoranten wie ich zwischen den Aufgussevents in der fast leeren Sauna lümmeln, lauert der ambitionierte Schweißer wie eine Sprungfeder auf der Liege, die er entgegen der Anweisung der Saunabetreiber vorher mit einem Handtuch besetzt hatte, und muss entspannt tun. Wie beiläufig wandert sein Blick immer wieder zur Uhr im Ruheraum (leise bitte!!). Unauffällig cremt er sich schon mal mit dem ionisierten Honig-Kohlrabi-Ingwer Gemisch ein, das dann in der Wüstenluft der Blockhaussauna vollständig vom Handtuch aufgesaugt wird und nicht klebt. Immer zum Herzen hin cremen! Wann ist der rechte Startpunkt zum Angriff? Geht man zu früh rein, hat man zwar einen guten Platz, aber vielleicht auch schon Herzrasen am Rande des Hitzschlags, wenn der Blockwart endlich erscheint und muss unter den hämischen Blicken der triefenden Gemeinde vorzeitig den Schauplatz verlassen, ohne in den vollen Genuß des Gletschereisaroms auf Kieselerde zu gelangen. Wenn sie einem "Tür zu!" hinterher rufen, ist der Abend gelaufen. Startet man jedoch zu spät, ist womöglich kein Platz mehr frei, bis auf den ganz vorn am Ofen, wo man gleich schlapp macht und unter Umständen vom Wedelhandtuch des Aufgusszelebrators an den in der Hitze knispelnden Ohren getroffen wird. Ich habe meine Freundin, die sich auch als Aufgussjunky entpuppt hat, in ihrer Poolposition im Lagerraum verlassen, um mich genüsslich in der noch leeren Sauna auf der oberen Bank auszustrecken und mein Gehirn auf Gemüsestatus runter zu fahren. Plötzlich, obwohl ich noch kein Bedürfnis nach Abkühlung verspüre, umrahmt mich eisiges Schweigen, das in der Stille gut zu hören ist. Trotz wallt in mir auf, aber auf den ersten Schweißbächen bildet sich schon eine Eisdecke, ich mache den Aromaschnüfflern Platz. Und bleiben muss ich nun auch, um nicht auf ein Prinzip festgenagelt zu werden, das Prinzip der Aufgussvermeidung. Ich habe nichts gegen Aufgüsse, ich brauche sie nur nicht. Außerdem muss ich dieser "Wir sind immer donnerstags um 6 hier und was machst Du auf meiner Bank?"-Horde Paroli bieten. Der Raum füllt sich. Hoffentlich halte ich durch. Es erscheint der Zeremonienmeister, bewaffnet mit einem Handtuch an einer hölzernen Fahnenstange, einem Handtuch um die Hüfte, einem Bottich und einer Schöpfkelle. Irgendwie fehlt mir als Krönung des martialischen Auftritts ein Wicki der Wickinger Helm auf seinem Kopf. Aber wahrscheinlich würden die metallischen Hörner in der Hitze schmelzen. "Ich zelebriere einen Almdudler aus Edelschweiß, Gürtelrose und Schmelzkäse in drei Runden" verkündet der Folterknecht und schreitet zur Tat. Stolz zeigen sich die abgebrühten Hardliner ihre angesengten Brustwarzen. Zum Waxing müssen die auch nich mehr gehen. Versteckt hinter meinem Handtuch überstehe ich die erste Runde.'Doch mehr Sturm auf die Bastille', denke ich beim Anblick des Standarte schwingenden Handtuchhalters, und tausche den Wickyhelm gegen eine Gavroche-Mütze aus. Eigentlich will ich jetzt raus, aber das ist bei Todesstrafe verboten – während der Aufgüsse rein oder raus . . . im wahrsten Sinne ein NO-GO. Wenn man jetzt die Tür öffnet, zerstört man das ganze Raum-Schweiß-Kontinuum und wird umgehend gelyncht. Ich schluchze leise, während mich die zweite Hitzewelle überdudelt und dem Zerberus die Standarte zerbricht. "Egal!", ruft er. Die letzte Runde dann eben traditionell von Hand bis in den letzten Winkel hinein gewedelt. Der Künstler verneigt sich und empfängt den schmatzenden Applaus.Ich ahne, warum das auch "klatschen" heißt. Blind verlasse ich mit brennenden Haaren die Hölle und will, nun doch vom Wettbewerbsgeist erfasst, wenigstens beim Abkühlungsranking auf einem vorderen Platz landen. Ich muss in den See, und zwar ganz ein-tau-chen. Sonst zählt es nicht. Die Warmduscher auf dem Steg machen ein paar angeblich von gymnastischem Geist getragene Bewegungen, um ihre Feigheit zu kaschieren. Mit einem Zischeln zerbröseln meine nach Kohlrabi riechenden Haare, mein Herz bleibt stehen, zu spät sehe ich den Notrufknopf an der Ufertreppe. Ein Krebs ohne Brustwarzen sagt zum anderen: Man kanns auch übertreiben. |